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Der alte Wallbusch lüftet sein Geheimnis

Ur-Döhnsdorf nach 800 Jahren wiederentdeckt

 

Man sollte es nicht für möglich halten: Mitten im dichtbesiedelten, landwirtschaftlich stark genutzten Ostholstein, am Ortsrand von Döhnsdorf, liegt ein gar nicht einmal kleines Stück Land, über das seit 800 Jahren kein Pflug ging.

 

Ein Stück Land, das Inland blieb bis auf den heutigen Tag. Ein Stück Land aber, das auch über diese 800 Jahre hinweg ein Geheimnis wahrte. Dies Land trägt nämlich – in einem einmalig guten Erhaltungszustand - eine in ihren Erdbauwerken vollständig vorhandene Wehr- und Verteidigungsanlage aus der Rekolonisationszeit des zehnten und elften Jahrhunderts, trägt eine germanische Volksburg, trägt die Befestigungsanlage von Ur-Döhnsdorf.

 

Die Besitzerin dieses seltsamen Landstücks, Ursula Jipp aus Döhnsdorf, kam dem Geheimnis der Flur Wallbusch als erste auf die Spur. Schon der alte Flurname Wallbusch erzählt ja eine eigene Geschichte. Und der Name stimmt heute noch wie eh und je.

 

Ein mit dichtem Buschwerk bewachsener Ringwall umschließt einen ebenfalls unter Busch und Baumwerk verborgenen Turmhügel. Dankenswerterweise hat sie den ob seiner Burgenforschungen bekannten Dr. Hingst vom Landesamt für Vor- und Frühgeschichte unterrichtet.

 

Der sehr erfahrene technische Assistent des Landesamtes für Vor- und Frühgeschichte, E.W. Bötel, der zur Landesaufnahme seit einigen Monaten im Kreise Oldenburg tätig ist, untersuchte die Anlage und erkannte in ihr eine germanische Fliehburg aus der Rekolonisationszeit, erkannte Ur-Döhnsdorf in bester Erhaltung.

 

Mit E.W. Bötel waren wir draußen. Am Weg nach Wasbuck, hinter dem letzten Hause von Döhnsdorf, blockt – einige hundert Schritt von der Straße entfernt – dichtes Buschwerk auf sumpfiger Weide. Quelliges Land, durch das ein klitzekleines Bächlein in vielen Windungen schleicht. Nur mit Gummistiefeln kommt man an den Wallbusch heran und steht dann mitten in einem Märchen der frühen Geschichte unserer Heimat.

 

Dorn und Hasel, weißblühende Schlehen und Ulmen, Erlengestrüpp und Eichenkraut verwehren den Zugang. Auf dem Erdboden wuchert eine Flora, wie sie sonst in solcher Vielfalt und Schönheit kaum noch zu finden ist. Violettblühende Orchisarten – so das gefleckte und das großblättrige Knabenkraut – und das seltene Zweiblatt, rote Lichtnelken und gelbe, jetzt verblühte Primeln, himmelblaues Bachvergißmeinnicht, Salomonsigel und Zitronenmelisse – hier ist noch alles so, wie es einst war, als noch  die Chemie ihren Kampf gegen die „Unkräuter“ nicht angeblasen hatte.

 

Im Wallbusch haben noch Würger und Neuntöter, Mönchsgrasmücke und Kleiber ihr ungestörtes Nistrevier, hier ist noch Land im Urzustand.

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Textfeld: Raffiniert angelegt ist diese frühe Verteidigungsanlage. 

Der Bachlauf, der vor Jahrhunderten zweifellos mehr Wasser führte als heute, ist als Wassergraben für den Burgturm genutzt. Ein Stau am Ausgang hat den Turmgraben in wenigen Tagen mit Wasser angefüllt, den Graben, der immerhin heute noch eine Breite von 14 m hat.
Vor ihm verläuft – heute mit 15 m Wallbreite etwas vom Zahn der Zeit benagt und vom Regenwasser verlaufen – der Ringwall, kreisrund, mit einem Ringdurchmesser von etwa achtzig Metern.
Hinter Wall und Graben dann – wuchtiger Mittelpunkt der Burganlage – der Turmhügel, der heute noch vier bis fünf Meter hoch ist und einen Durchmesser von 24 m hat. Mit steiler Anhöhung und fast undurchdringlichem Bewuchs.


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„Das ist die schönste der kleineren Wehranlagen, die ich im wagrischen Winkel kenne“, sagt Bötel, und er kennt bestimmt vieles.

 „Die Verhandlungen, dies Stück Geschichte unter endgültigen Denkmalschutz zu stellen, laufen bereits, so daß mit Sicherheit für die Erhaltung Ur-Döhnsdorfs gesorgt wird.“ So Bötel, dem die helle Freude über diese feine Entdeckung aus den Augen spricht.

 

Diese Fliehburg – das wird im anschließenden Gespräch noch einmal erläutert – hatte die Aufgabe, Menschen und Vieh in den Krisenzeiten der Slawenstürme zu bergen. Palisaden und hölzerner Blockturm nahmen die ersten Rücksiedler, die die Kolonisation in das für einige Jahrhunderte slawisch besetzte Land brachte, auf, wenn Aufstände und blutiger Kampf den Flamen, Holsten, Westfalen und Holländern, die hier neue Heimat auf altgermanischem Boden suchten, Dorf und Besitz streitig machten.

 

Ur-Döhnsdorf war so angelegt, daß es für damalige Begriffe so gut wie unangreifbar war, außerdem so verborgen und so schwer passierbar angelegt, daß in all den späteren Jahrhunderten kein Bauer auf den Gedanken kam, hier zu kultivieren, hier den Wallbusch urbar zu machen.

 

Und da ist noch ein Geheimnis am alten Wallbusch. Ein noch nicht ganz gelöstes übrigens. Da steht, nur wenige Gänge von der Wehranlage entfernt, ein weiteres, schmales Buschwäldchen. Ebenso verwachsen, ebenso voller seltener Blumen und Büsche. Dringt man in das Dickicht ein, so scheint es, als ob zwei Knickwälle – nur 20, 30 Meter voneinander entfernt – an den Außenseiten dieses Dickichts parallel verlaufen. „Und?“ – „Ja“, sagt Bötel, „wir wollen auch dies Stück Land, das so eigenartig an die alte bäuerliche Langstreifenflur erinnert, noch genauer untersuchen. Deshalb heute noch keine endgültige Antwort. Es scheint aber - aber vieles spicht dafür - ,daß hier ein Vorwall für die Burganlage ist oder daß  wenigstens die Reste eines solchen hier noch liegen. Genaue Untersuchungen in künftiger Zeit, und von Frühgeschichtswissenschaftlern durchgeführt, werden hier endgültige Klarheit schaffen.“

 

 

Motten oder Turmhügel sind überall in Nord- und Westeuropa für die Zeit um 1000 bis ins 15. Jahrhundert nachweisbar. Der älteste Beleg ist die Darstellung auf dem Teppich von Bayeux.

 

Die Wehrtürme wurden auf einem künstlich aufgeschütteten Hügel errichtet. Sie konnten in relativ kurzer Zeit erbaut werden und waren stets von einem Graben, oft auch von einem Wall umgeben. Häufig war die Anlage mit einer Vorburg, einem eingewallten Wirtschaftshof, verbunden.

 

Die schon erwähnte Motte in Futterkamp, der sog. Kleine Schlichtenberg, wurde übrigens 1356/1357 errichtet. Die für den Turmbau und für die Brücke benötigten Eichenstämme sind in dieser Zeit gefällt worden. Der Turmbau hatte eine Grundfläche von 8 x 7 m. „Die Mächtigkeit der sieben Eichenpfosten stützen die Annahme, daß auf dem Kleinen Schlichtenberg ein mehrstöckiges Bauwerk gestanden hat, für das die Bezeichnung Turmbau gerechtfertigt ist. Die regelmäßige Anordnung der Pfosten in einem Viereck und die Ausdehnung eines Fußbodenhorizontes ermöglichen die Rekonstruktion des vollständigen Gebäudegrundrisses. Demzufolge bestand die Außenwand des rechteckigen Turmbaues aus insgesamt zwölf Pfosten.“[1] Vielleicht sah unsere Döhnsdorfer Burganlage ähnlich aus.

 

Ernst Walter Bötel vom Archäologischen Landesamt hat bei seinen Untersuchungen alte Wegespuren entdeckt und den möglichen Verlauf dieses Weges aufgezeichnet. Gab es eine Wegeverbindung vom Sehlendorfer Weg zur Döhnsdorfer Burg und von dort über die Mühlenaue nach Farve? Auf der Varendorfschen Karte von 1789-1796 ist diese Wegeverbindung von Döhnsdorf zur Mühlenaue noch verzeichnet.

 

Etwas abseits des Rittersitzes liegt der eigentliche Dorfkern Döhnsdorfs. Wie mag dieser Dorfkern ausgesehen haben?

 

E.W. Heine schreibt in einer Rekonstruktion der Lebensgeschichte des Rothenburger Bürgermeisters Heinrich Toppler über den Alltag der Bauern:[2]

 

„Der Bauer war Selbstversorger. Er war nicht nur Metzger und Brauer, Imker und Bäcker, er spann Wolle, webte Leinen, gerbte Leder, töpferte, schnitzte und kurierte das kranke Vieh. Die Vorsorge für den Winter nahm viel Zeit in Anspruch: Räuchern, Pökeln und Dörren, Holzhacken und Heumachen. Jeder Bauer war sein eigener Baumeister. Entsprechend anspruchslos war die Qualität der Hütten. Nach einer Bestimmung des 15. Jahrhunderts galt ein bäuerliches Holzhaus als solide gebaut, wenn es von drei Männern mit drei Apfelpflückhaken nicht umgerissen werden konnte.

 

Einfach war auch die Alltagskleidung. Allgemein üblich war ein kurzer Kittel aus grobem Leinen, der auf der nackten Haut getragen wurde. Die weiten Hosen reichten bis knapp über die Knie. Die Schuhe wurden mit ledernen Bändern zusammengehalten. Diese primitive Fußbekleidung war so weit verbreitet, daß bei den späteren Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Rittern der bäuerliche Bundschuh zum Symbol des Aufstandes gegen den sporenklirrenden Reitstiefel werden konnte“.[3]

 

„Äußerlich waren die Bauern ebenso verkommen wie die Mönche“, von denen Heine schreibt: „ Auf uns hätten die Mönche wie viele ihrer Zeitgenossen einen abschreckenden Eindruck gemacht. Nach unserer Vorstellung von Hygiene und Sauberkeit waren die frommen Männer völlig verwahrlost, denn Körperpflege, Waschungen oder gar Vollbäder standen nach wie vor im Ruch fleischlicher Sünde.

 

Schon der Kirchenvater Hieronymus hatte im 4. Jahrhundert gelehrt: ‚Eine reine Haut offenbart eine schmutzige Seele. Unsere Leiber sind die verachtenswerten Kerker unserer Seelen, die uns daran hindern, zu unserem Schöpfer zurückzukehren‘. Schwarze faulige Zähne, juckende Krätze, eiternde Geschwüre, Ungezieferbisse gehörten zu den alltäglichen Übeln. Niemand wäre der wahnwitzigen Idee erlegen, Luft oder gar Sonne an den Leib zu lassen.“[4]

 

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[1] Ingolf Ericsson, Futterkamp, Karl Wachholtz Verlag Neumünster, 1983.

[2] E.W. Heine, Toppler-Ein Mordfall im Mittelalter, Diogenes Verlag, 1992.

[3] Der Aufstand der Bauern im Zeichen der Bundschuhfahne, der Bauernkrieg Anfang des 16. Jh., blieb auf Süddeutschland beschränkt. Nur in Ostpreußen kam es zu einem lokalen Aufstand, und völlig getrennt von dem süddeutschen Bauernkrieg erfolgte ein Aufstand in Thüringen (Prof. Dr. Dr. H. Rößler, Deutsche Geschichte, 1961)

[4] E.W. Heine. ebda.

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